Im Fall der usbekischen Präsidententochter Gulnara Karimowa bestätigt die Bundesanwaltschaft, rund 800 Millionen Franken Vermögen beschlagnahmt zu haben.
Das Unheil nahm Anfang 2009 seinen Lauf. Die Privatbank Lombard Odier eröffnete für einen reichen Usbeken, Akmed Bekzedow, zwei Konten. Er gab sich als langjähriger Geschäftsführer einer usbekischen Mobilfunkanbieterin mit 9,5 Millionen Kunden aus. Damit habe er viel Geld verdient, gab er zu Protokoll. Seine Konten liess er über eine Briefkastenfirma mit Sitz auf Gibraltar laufen, die Firma Takilant. Sie wird in dieser Affäre die zentrale Rolle spielen.
Die Bank überprüfte seinen Hintergrund und fand nichts, das sie hätte beunruhigen müssen. Die neue Kundenbeziehung ging durch mehrere Instanzen und wurde von der Geschäftsleitung bewilligt. Drei Jahre später, am 25. und 28. Juni 2012, versuchten drei Usbeken, eine Frau und zwei Männer, sich unbefugt Zugang zu den Konten zu verschaffen, auf denen sehr viel Geld lag. Lombard Odier schöpfte Verdacht, denn der Unterschriftsberechtigte, der erwähnte usbekische Mobilfunkchef, war seit Tagen über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben.
Die Bank gelangte damit zur Meldestelle für Geldwäscherei (MROS). Fünf Tage später ordnete Bundesanwalt Michael Lauber die Sperrung von «mehreren Hundert Millionen Franken auf verschiedenen Banken» an mit Verdacht auf «schwere Geldwäscherei». In diesem Moment ahnten weder er noch Lombard Odier, dass das blockierte Vermögen während der Ermittlungen auf über 800 Millionen Franken anschwellen, dass die Schweiz in zehn Ländern Rechtshilfegesuche stellen und dass der Fall die Schweiz vor erhebliche juristische Probleme stellen würde: Wie soll jemand in Abwesenheit verurteilt werden, zu dem keinerlei Kontakt besteht? Und wem schuldet die Schweiz das Geld, wenn sich der Verdacht der Korruption bestätigen sollte?
Bestechung im grossen Stil
Die Person, um die sich letztlich alles dreht, heisst Gulnara Karimowa. Die 43-Jährige ist die älteste Tochter des usbekischen Alleinherrschers Islam Karimow. Sie war bis 2013 seine UNO-Botschafterin in Genf, bis sie auf Druck von unbekannt den Diplomatenpass abgeben musste und das Land verliess. Medienberichten zufolge steht sie seit einem Jahr in Usbekistan unter Hausarrest. In ihrem Heimatland drohe ihr ein Prozess. Der von Lauber für das Schweizer Verfahren bestellte Pflichtverteidiger Grégoire Mangeat sagt, seine Klientin sei unerreichbar. Es gebe «absolut keinen Kontakt, trotz zahlreicher Briefe und Telefonate an die usbekische Botschaft in Berlin und die Mission in Genf».
Es ist vor allem das Verdienst schwedischer Journalisten und des von unabhängigen Journalisten betriebenen Netzwerks Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), dass die Vorgänge öffentlich dokumentiert sind. Demnach hat Karimowa von 2006 bis 2012 Zahlungen und Beteiligungsrechte von «mehr als einer Milliarde US-Dollar aus internationalen Telecomfirmen herausgepresst», schreibt OCCRP in einem umfassenden Bericht vom 21. März. Belegt sind laut der schwedischen Staatsanwaltschaft Zahlungen «über 300 Millionen Dollar» des halbstaatlichen Unternehmens Teliasonera an Strohfirmen von Karimowa. OCCRP beziffert sie auf 381 Millionen Dollar.
Belegt sind auch Zahlungen einer Tochterfirma der norwegischen, halbstaatlichen Telecomfirma Telenor. Sie hält die Mehrheit an der in Holland ansässigen und in New York an der Börse kotierten Tochter Vimpelcom. Diese hat zugegeben, 94,5 Millionen Dollar an Schmiergeldern an die Karimowa-Firma Takilant bezahlt zu haben. Laut OCCRP sind aber 156 Millionen Dollar geflossen. Sie stützt sich auf neue Unterlagen, die ein Whistleblower im Februar 2015 den Behörden in Norwegen zugespielt hat und die dem TA vorliegen.
Belegt ist laut schwedischen Ermittlern auch, dass über 300 Millionen Dollar von einer privaten russischen Mobilfunkfirma, der MTS, an Tarnfirmen von Karimowa geflossen sind. Laut OCCRP waren es 350 Millionen Dollar. Für diesen Zusammenhang interessieren sich vor allem die US-Staatsanwaltschaft und die Börsenaufsicht SEC, weil 2006 und 2007 wegen der Schmiergeldzahlungen drei US-Mobilfunkfirmen aus dem Rennen geworfen wurden.
Wie kamen die Gelder in die Schweiz? Dokumentiert sind Überweisungen auf Konten in Litauen. Von dort floss das Geld nach Hongkong zur Standard Chartered Bank und dann, ab 2009, nach Genf auf die Takilant-Konten von Lombard Odier. Investiert wurden sie unter anderen in Offshore-Fonds, in eine Villa in Hongkong und in mehrere Luxusimmobilien in Frankreich. Die franzö-sische Staatsanwaltschaft beschlagnahmte im September auf Laubers Begehren hin ein Schloss und zwei Luxusvillen, die ein Freund von Karimowa gekauft hatte. Der Wert des Schlosses wird auf 36 Millionen Dollar beziffert.
Die Schweiz hat Rechtshilfebegehren an zehn Länder gestellt. Es sind dies Holland, Frankreich, Schweden, Norwegen, USA, Litauen, Russland, Hongkong, Gibraltar und Usbekistan, wie Bundesanwalt Lauber gegenüber dem TA bestätigte. Alle ausser Usbekistan – das nicht einmal geantwortet hat – kooperieren. Das letzte Gesuch um ergänzende Rechtshilfe an die Schweiz ist Mitte Januar aus Schweden eingetroffen. Es wird noch behandelt.
Formen von Erpressung
Die Geschäfte, welche die Ermittler und die OCCRP als korrupt betrachten, liefen auf drei Arten. Zum einen hielten Karimowas Strohfirmen für wenig Geld erworbene Beteiligungsrechte von usbekischen Mobilfunkfirmen, die sie gegen viel Geld an die holländischen, schwedischen und russischen Telecomfirmen veräusserten. Zum anderen stellten sie Beratungen und Lizenzerweiterungen in Rechnung. So erreichten relativ kleine Millionenbeträge das Genfer Konto. Belege, die im Jahr 2013 publiziert wurden, zeigen, dass Karimowa Teliasonera unter Druck setzte und drohte, fünf usbekische Behörden (Zoll, Steueramt, Kartellamt, Telecom-Inspektorat und Innenministerium) auf die Firma loszulassen, sollte das Unternehmen nicht 15 Millionen Dollar zahlen.
Illustrativ für die Zahlungen des schwedischen Unternehmens sind die folgenden Überweisungen: Teliasonera zahlte 30 Millionen, um eine 3G-Funklizenz zu erhalten. Später flossen 9,2 Millionen für zusätzliche Telefonnummern. Dann zahlte das Unternehmen 15 Millionen, um eine 4G-Funklizenz zu erhalten. Und dann kamen weitere 55 Millionen für eine Erweiterung der Frequenzen und die Nutzung eines Glasfasernetzwerks hinzu. Das meiste floss an die Firma Takilant mit Konten in Genf.
Lombard Odier schöpfte keinen Verdacht, obwohl sie den Zahlungsverkehr nach Kriterien für politisch exponierte Personen (PeP) überwachten musste. Sie wusste, dass der usbekische Mobilfunkchef dem Regime von Islam Karimow nahestand. Die Bank muss sich vorwerfen lassen, spätestens seit Dezember 2010 den Hintergrund des Kunden nicht erneut hinreichend geprüft zu haben.
Zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte Wikileaks im Internet Depeschen des früheren US-Chefdiplomaten in Usbekistan, der den korrupten Einfluss von Karimowa beschrieb und eine direkte Verbindung zum eingangs erwähnten Akmed Bekzedow herstellte, den Lombard Odier als wirtschaftlich Berechtigten für die Genfer Konten verzeichnete. Erst als die Geldwäschereimeldung erfolgte, wurde der verantwortliche Kundenberater A. K. freigestellt und später entlassen (TA vom 13. 10. 2012). Laut schwedischen Medien ist er einer der sechs Personen, gegen die Bundesanwalt Lauber wegen Geldwäscherei oder Beihilfe dazu ermittelt. Lombard Odier sagte, sie sei «nicht autorisiert, das laufende Verfahren zu kommentieren». Die sechs Teilhaber der Genfer Privatbank Lombard Odier wollen sich zum Fall nach wie vor nicht äussern. Der bekannteste unter ihnen ist Patrick Odier, Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung.
Im Dezember 2014 beklagten sich schwedische Ermittler bei Journalisten über die «langwierige Prozedur der Schweizer Ermittlungen und einer umfangreichen Beschwerdemöglichkeit». In der Tat haben die in Genf verhafte- ten Usbeken die Rechtshilfebegehren Schwedens angefochten. Sie sind unterlegen, aber die Herausgabe von Bankunterlagen an Schweden verzögerte sich um ein Jahr. Auch Usbekistan selber prozessierte bis vor Bundesgericht gegen den Bundesanwalt. Es beanspruchte diplomatischen Schutz für Computer und USB-Sticks, die die verhafteten Usbeken bei sich trugen, als sie auf die Genfer Konten zugreifen wollten. Das höchste Schweizer Gericht gab Usbekistan recht. Die Beweise sind nicht verwertbar.
Bundesanwalt Lauber weist auf Anfrage des TA die Vorwürfe aus Schweden zurück, ebenso das für Rechtshilfe zuständige Bundesamt für Justiz. Die Arbeit komme gut voran, bekräftigte Lauber Ende Februar. Im Gespräch wurde deutlich, dass er vor allem mit drei Problemen konfrontiert ist. Erstens wies Lauber darauf hin, dass der Fall eine grosse internationale Dimension angenommen habe, «mit vielen Verästelungen, die zu einer Konzentration der Kräfte» führe. Zweitens habe er «keine Möglichkeit erhalten, die Hauptbeschuldigte Karimowa einzuvernehmen, was in einem Strafprozess von wichtiger Bedeutung» sei. Als Bundesanwalt sei er verpflichtet, «auch allfällige entlastende Beweise zu würdigen». Und drittens gehe es «um sehr hohe Beträge». So seien in der Schweiz Vermögenswerte im Wert von über 800 Millionen Schweizer Franken beschlagnahmt worden – mehr, als im Zuge des Arabischen Frühlings im Ägypten-Dossier blockiert wurde.
Komplexe Rechtsfragen
Der schwedische Staatsanwalt Gunnar Stetler sagte zu OCCPR, er wolle den Fall bis «Ende 2015» zur Anklage bringen. Lauber nennt keinen Termin. Noch seien nicht alle Beweise ausgewertet. Laut bundesnahen Quellen fehlen ihm dazu auch die nötigen personelle Ressourcen. Offen bleibt auch, wem dereinst das beschlagnahmte Geld zukommen soll. Als Geschädigte kommen die Aktionäre der Telecomfirmen in Schweden und Norwegen infrage; indirekt aber auch andere Telecomfirmen, die wegen der Bestechung nicht berücksichtigt wurden. Auch usbekische Handyabonnenten und Steuerzahler dürften benachteiligt worden sein. Doch wie man ihnen die Millionen rückerstatten sollte, ist eine ungelöste Frage, solange das Land von einem Clan von Kleptokraten regiert wird. Zwei vom TA angefragte Strafrechtsprofessoren wollten sich dazu nicht äussern. Usbekistan liess Anfragen des TA unbeantwortet.
Gulnara Karimowas Anwalt hat Anfang April die Sistierung der Ermittlungen beantragt. «Zum zweiten Mal hat die Bundesanwaltschaft es abgelehnt, die Untersuchung zu sistieren», sagt Grégoire Mangeat. Dagegen habe er letzte Woche eine Beschwerde beim Bundesstrafgericht eingereicht. Seine Begründung: «Es ist nicht normal, dass die Bundesanwaltschaft weiterhin in aller Ruhe Tausende von Aktenseiten zusammentragen kann, ohne dass Frau Karimowa etwas zur Wahrung ihrer Verteidigungsrechte unternehmen kann.»
Von Andreas Valda Bundeshausredaktor @ValdaSui